Welche Atomunfälle prägten die Geschichte – und warum? Diese Top-10 listet zivile und militärnahe Nuklear- bzw. radiologische Ereignisse mit größter weltweiter Wirkung. Sortiert wird nach INES-Stufe, Freisetzung/Betroffenheit und Folgen (Evakuierung, Langzeiteffekte). Pro Eintrag finden Sie eine verlässliche Quelle.
Übersicht
- Tschernobyl (1986, Ukraine/UdSSR)
- Fukushima Daiichi (2011, Japan)
- Kyschtym/Mayak (1957, UdSSR)
- Windscale-Brand (1957, Großbritannien)
- Three Mile Island (1979, USA)
- Goiânia-Cs-137 (1987, Brasilien)
- Tokaimura-Kritikalität (1999, Japan)
- SL-1 Reaktorexkursion (1961, USA)
- Saint-Laurent-des-Eaux (1969, Frankreich)
- Chalk River NRX (1952, Kanada)
Tschernobyl (1986, Ukraine/UdSSR)
Rang: 1
Nach einem instabil gefahrenen Sicherheitstest explodierte Block 4 des RBMK-Reaktors. Der Graphitbrand schleuderte über Tage Radionuklide in große Höhen; weite Teile Europas wurden kontaminiert. Liquidatoren bändigten die Reste unter extremen Dosen, später wurde ein Sarkophag und schließlich der New Safe Confinement errichtet.
- Großräumige Evakuierungen, u. a. Prypjat (ca. 49.000) und 30-km-Zone.
- Langanhaltende Kontamination (v. a. ^131I, ^137Cs).
- Umfassende internationale Forschung zu Gesundheitseffekten.
- Datum
- 26. April 1986
- Reaktortyp
- RBMK-1000 (Graphit, Siedewasser)
- Quelle
- UNSCEAR – Chornobyl Accident
Fukushima Daiichi (2011, Japan)
Rang: 2
Erdbeben und Tsunami überfluteten die Notstromsysteme von Blöcken 1–3. Es kam zu Kernschädigungen, Wasserstoffexplosionen und erheblichen Freisetzungen. Japan evakuierte großräumig, führte Dekontamination durch und etablierte ein langfristiges Wasser- und Brennstoff-Management.
- Mehrfache Kernschäden (Units 1–3), Wasserstoffexplosionen (1,3,4).
- Lange Laufzeit der Stabilisierung (defueling, kontaminiertes Wasser).
- Weitreichende Regulierungsreformen in Japan.
- Datum
- ab 11. März 2011
- Anlage
- BWR-Mark I
- Quelle
- IAEA – Fukushima Information Sheet
Kyschtym/Mayak (1957, UdSSR)
Rang: 3
In einer militärnahen Wiederaufarbeitungsanlage explodierte ein Tank mit hochradioaktiven Abfällen. Die Wolke kontaminierte weite Gebiete der südlichen Urale – bekannt als East Ural Radioactive Trace (EURT). Jahrzehntelang geheim gehalten, gilt das Ereignis als schwerste Freisetzung außerhalb eines Kraftwerks.
- Chemische Explosion in HAW-Tank (Kühlung ausgefallen).
- Langzeitfolgen in betroffenen Dörfern entlang der Techa.
- Wichtige Lehren für HAW-Lagerung und Überwachung.
- Datum
- 29. September 1957
- Anlage
- Mayak PA, Abfalllager
- Quelle
- IAEA – INES Übersicht (Beispiele)
Windscale-Brand (1957, Großbritannien)
Rang: 4
Beim Versuchsreaktor „Pile 1“ geriet der Graphitmoderator in Brand. Über Entlüftungssysteme wurden Radionuklide freigesetzt, u. a. ^131I – Milch wurde großflächig entsorgt. Der „Penney-Report“ wurde später veröffentlicht und prägte die britische Sicherheitskultur.
- Zweite „Wiedererwärmung“ des Graphits als Auslöser.
- Schnelle Notfallmaßnahmen, später Entsorgung der Filter/Komponenten.
- Transparenzdebatte in Parlament und Fachwelt.
- Datum
- 10.–11. Oktober 1957
- Anlage
- Windscale Pile 1 (Sellafield)
- Quelle
- Nature – Penney-Report (1958)
Three Mile Island (1979, USA)
Rang: 5
Ein Störfallkaskade aus Ventilfehler, Anzeigenmissverständnissen und Bedienreaktionen führte zur partiellen Kernschmelze in TMI-2. Die Freisetzungen blieben gering; der Unfall markierte dennoch einen Wendepunkt der US-Nuklearaufsicht und Ausbildungspraxis.
- Große Reformen bei Notfallmanagement, Simulatortraining, Human Factors.
- Jahrzehntelange Außerbetriebnahme und Dekontamination von TMI-2.
- Öffentliche Debatte über Kernenergie in den USA.
- Datum
- 28. März 1979
- Anlage
- PWR (Babcock & Wilcox)
- Quelle
- US NRC – Backgrounder TMI
Goiânia-Unfall (1987, Brasilien)
Rang: 6
Ein aufgegebener Teletherapie-Strahler (Cs-137) wurde in einer Schrottanlage geöffnet, das leuchtende Caesiumchlorid verteilt. Hunderte wurden kontaminiert, Dutzende schwer verletzt; vier Menschen starben. Der Unfall zeigte die Risiken verlassener Strahlenquellen und verbesserte weltweit die Kontrolle über „orphan sources“.
- Großer urbaner Dekontaminationseinsatz; langfristige Nachsorge.
- Stärkung von Melde- und Inventursystemen für Quellen.
- Leitfäden für Medizin, Psychologie, Abfallmanagement.
- Datum
- ab 13. September 1987
- Quelle
- IAEA – The Radiological Accident in Goiânia
Tokaimura-Kritikalitätsunfall (1999, Japan)
Rang: 7
Beim Mischen von hochangereichertem Uran überschritten Arbeiter Prozessgrenzen; es kam zu einer unkontrollierten, über Stunden intermittierenden Kritikalität in einem Niedrigenergie-Prozessbehälter. Zwei Arbeiter starben später an Strahlenfolgen; der Vorfall führte zu umfassenden Prozessreformen.
- Grenzwertverletzung (Gefäß, Geometrie, Menge) als Kernursache.
- Weitreichende Aufsicht- und Schulungsreformen in Japan.
- Verbesserte Kritikalitätssicherheit in Nicht-Kraftwerksprozessen.
- Datum
- 30. September 1999
- Anlage
- JCO Brennstofffabrik
- Quelle
- IAEA – Tokaimura Accident Report
SL-1 Reaktorexkursion (1961, USA)
Rang: 8
Bei einem kleinen Forschungsreaktor in Idaho führte das manuelle Herausziehen einer zentralen Steuerstange zu einer prompten Überkritikalität. Drei Beschäftigte kamen ums Leben – der einzige tödliche Reaktorunfall in den USA. Die Bergung und Dekontamination entwickelte neue Standards für Schwerstunfälle.
- Einfluss auf Reaktorsicherheit (Interlocks, Prozeduren).
- Umfangreiche Strahlenschutz-Bergungsprotokolle.
- Wichtiges Lehrbeispiel der Kritikalitätssicherheit.
- Datum
- 3. Januar 1961
- Anlage
- SL-1 (Stationary Low-Power Reactor)
- Quelle
- INL – Final Report of SL-1 Recovery
Saint-Laurent-des-Eaux (1969, Frankreich)
Rang: 9
In einem gasgekühlten Graphitreaktor (UNGG) kam es bei Brennstoffarbeiten zu einer partiellen Kernschädigung (Schmelzen mehrerer Brennelemente). Der Vorfall blieb im Kraftwerksbereich begrenzt, gilt aber als schwerster ziviler Reaktorunfall Frankreichs.
- Technische Nachrüstungen und spätere Stilllegung der UNGG-Linie.
- Zweiter INES-4-Vorfall 1980 (Graphit-Wärmeexkursion).
- Verbesserte französische Aufsicht und Meldewesen.
- Datum
- 17. Oktober 1969
- Anlage
- Saint-Laurent A1 (UNGG)
- Quelle
- ASN – Histoire #01 (Saint-Laurent 1969)
Chalk River NRX (1952, Kanada)
Rang: 10
Der frühe Forschungsreaktor NRX erlitt nach Fehlsteuerungen und Ventilfehlern eine schwere Beschädigung mit Brennstoffschäden und Wasserstoffexplosionen im Reaktorgebäude. Es gab keine Todesopfer; die Sanierung prägte frühe Standards für Dekontamination und Wiederaufbau.
- Große Aufräum- und Dekontaminationskampagne (14 Monate).
- Frühe Blaupause für internationale Notfallmaßnahmen.
- Wichtige Beiträge zur Betriebserfahrung von Forschungsreaktoren.
- Datum
- 12. Dezember 1952
- Anlage
- NRX, Chalk River Laboratories
- Quelle
- AECL – NRX Accident Report (PDF)

